Gerswalde, Deutschland – Dezember 2017

Während unserer Begegnung in Gerswalde lag unser Arbeitsort im Fokus: die Region Uckermark. Diese ländliche Region bildet musterhaft Strukturen der Ausgrenzung und Diskriminierung der letzten 90 Jahre in Deutschland ab. Hier befindet sich die Gedenkstätte des ehemaligen Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, mit dem wir uns eingehend beschäftigten. Über unseren persönlichen Besuch hinaus fand dazu eine breite Recherche statt, bei der die Teilnehmer*innen, geleitet von ihren eigenen Interessen, den Mikrogeschichten nachgingen. Wir reflektierten in diesem Zusammenhang, wie wir mit Zeugnissen und Quellen umgehen, welche Verantwortung im Umgang mit ihnen geboten ist, aber auch über Möglichkeiten und Grenzen der konkreten Repräsentation von Opfern und Betroffenen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im erinnerungspolitischen Diskurs in Deutschland.

Darüber hinaus stellten sich die geographischen und infrastrukturellen Hindernisse einer ruralen und damit weitgehend entvölkerten und strukturschwachen Region im Nordosten Brandenburgs als Herausforderung dar. Wir gewannen einen Einblick davon, was es heißt, in einer Region zu leben, in der zerfahrene, kopfsteingepflasterte Straßen die Dörfer verbinden und Mobilfunkempfang wie auch schnelles Internet selten bis kaum zur Verfügung stehen, oder eine Fahrt mit dem öffentlichen Personennahverkehr schon ins nächste Mittelzentrum und zurück eine halbe Tagesreise bedeutet.

 

Kluszkowce, Polen – September 2017

Im Zentrum unserer gemeinsamen Arbeit standen in Kluszkowce verschiedene Konzepte von „Heimat“ und die kritische Auseinandersetzung mit ihnen. Der deutsche Begriff „Heimat“ bezieht sich auf eine sozio-kulturell spezifisch strukturierte Region, mit der Menschen sich durch Geburt, Sprache oder eine erworbene Vorliebe verbunden fühlen. Er changiert zwischen einem bloßen Regionalbezug und einem politisch-moralischen Konzept. In jedem Fall impliziert er eine bestimmte Bevölkerungsstruktur, Tradition und Orientierung. Seinen Gegensatz bilden die Fremde und die Entfremdung. Während es im Kroatischen ein Wort für „Heimatland“ gibt, referieren ähnlich konnotierte Konzepte im Polnischen und Serbischen bereits auf das „Vaterland“ selbst.

In diesem Sinn untersuchten wir kritisch, wie Konzepte von „Heimat“ – “domovina” – “otadžbina” – “ojczyzna” unser politisches Denken und Handeln beeinflussen. Wie sind wir selbst durch unseren persönlichen Hintergrund geprägt? Wie sind wir mit Konzepten von Heimat in Berührung gekommen? Wie wirkt sich die Verschiedenheit der jeweiligen Konzepte auf Politiken der Länder aus? Welche Narrative leiten sich daraus ab?

Zugleich stieß die Frage nach „Heimat“ Reflexionsprozesse über die eigene Herkunft und Zugehörigkeit an und damit zur eigenen Position innerhalb gesellschaftlicher Diskurse, auch und besonders zu eigenen Fremdheits- und Diskriminierungserfahrungen.

 

Vrhovine, Kroatien – Juli 2017

Im Juli 2017 kehrte das Workshop-Programm Körper/ Sprache/ Archiv in die Region Lika zurück, in der unser Projekt im August 2015 begann. Neben derAnnäherung an Kriegsereignisse im ehemaligen Jugoslawien sowie ihre geschichtspolitische Repräsentation und Reflexion spielte die Auseinandersetzung mit persönlichen Erlebnissen zwischen 1991 und 1995 eine zentrale Rolle. In den Fokus unserer Beschäftigung rückte zudem die politische Vorgeschichte und das sozialistische Jugoslawien Josip Broz Titos. In einer Exkursion besuchten wir die architektonischen Überreste von „Titos Villa“ in Plitvice, die paradigmatisch für den Zerfall Jugoslawiens und den nachfolgenden Krieg stehen und diesen vor Augen führen. Mit Vrhovine geriet außerdem in den Blick, welche spezifischen Folgen des Krieges heute die Region prägen wie Entvölkerung und Leerstand und mit welchen widersprüchlichen Mitteln, Instrumenten und Initiativen sowohl individuell als auch regional und staatlich darauf reagiert wird. So werden touristische Angebote wie auch der gezielte Ankauf von Immobilien durch städtische Unternehmen und Privatpersonen unterstützt, aber wachsende soziale wie auch ethnische Spannungen, die den bezweckten Zielen entgegenstehen, unberücksichtigt gelassen.

 

Podum, Kroatien – Juli 2016

In einem Residency-Programm, zu dem die Teilnehmenden der Workshops in Podum Kroatien 2015 und Berlin-Weißensee 2016 eingeladen waren, wurden die bereits erarbeiteten Ergebnisse reflektiert.

Im Zentrum dieses Reflexionsprozesses stand die Auseinandersetzung mit den Themen und Methoden der vergangenen Workshops. Die in den bisherigen Begegnungen angerissenen Themenkomplexe wurden in Gruppen weiter bearbeitet und vertieft. Körperliche Spuren und ihre Geschichten, versehrte Körper, Narben; Dystopie und Apokalypse sowie Täterschaft und Trauma wurden fokussiert. Darüber hinaus fand eine Evaluation und Weiterentwicklung des methodischen und inhaltlichen Ansatzes statt.

Durch die Rückkehr an den Ort der ersten Begegnung wurde außerdem die Möglichkeit wahrgenommen, das erweiterte Umfeld des von Minen umgebenen Dorfes zu erkunden, um eine geografische wie politische Kontextualisierung des Ortes zu ermöglichen. Dabei blieb zu bedenken, dass sich im Zuge des kroatischen EU-Beitritts die gesellschaftlichen Strukturen in der Region stark veränderten: sowohl ökonomisch als auch in Bezug auf die Bevölkerungsstrukturen. Diese Themen wurden im darauffolgenden Durchlauf durch die Rückkehr in die Region, in das Nachbardorf Vrhovine im Juli 2017, weiter ausgelotet.

 

Berlin-Weißensee, Deutschland – Mai 2016

Gegenstand der Auseinandersetzung mit dem Thema Ausgrenzung und eliminatorische Gewalt in Berlin-Weißensee war der geschichtspolitische Umgang mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und deren verheerenden Folgen. Zugleich stand bei der zweiten Begegnung stärker im Zentrum, was es bedeutet, für die Geschichte Verantwortung zu übernehmen. Wie können wir Bezüge herstellen zu einer Vergangenheit, zu der wir keinen persönlichen Zugang mehr haben? Wie können wir für das Thema sensibilisieren? Wie und wofür können wir Verantwortung übernehmen?

Darüber hinaus thematisierten wir Massenchoreografien bzw. die Konstituierung des performativen kollektiven Körpers in verschiedenen Systemen, insbesondere in Hinblick auf Sportfeste, Demonstrationen und Paraden.

 

Podum, Kroatien – August 2015

Bei unserer ersten Begegnung in Podum setzten wir uns im August 2015 mit der jüngsten kroatischen Vergangenheit und Gegenwart auseinander – dem Krieg von 1991 bis 1995 sowie den Geschichtspolitiken, die sich daran anschließen und das Bild des Krieges bestimmen. Prägend für diese Beschäftigung war die zunehmende Konstitution von “Nationalethnien” seit den 1980er Jahren im ehemaligen Jugoslawien. Vertreibungen und Massaker waren deren unmittelbare Folgen. Noch heute finden sich in der Region Lika, in der Podum liegt, Minenfelder, wenn sie heute auch gekennzeichnet sind. Seit einigen Jahren gibt es etliche Bemühungen in Kroatien, sich kritisch mit dieser Vergangenheit auseinanderzusetzen. Daran knüpfte der Workshop konstruktiv an: Ist die kulturelle Identität als Konstruktion zu begreifen? Wie stellt sie sich her? Wie grenzt sie sich über ihr anderes ab? Was bedeutet die identitäre Abgrenzung von Nachbar und Nachbarin? Wie führt sie zu deren Exklusion bis hin zu Vertreibung?